Zehn Millionen Euro für Sonderforschungsbereich

Gezielte Hirnstimulation gegen Bewegungsstörungen

02.06.2020
Quellenangabe:

Julius-Maximilans-Universität Würzburg

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02.Juni 2020

Innovative Therapiestrategien für Menschen mit Bewegungsstörungen: Daran arbeitet ein neuer Transregio-Sonderforschungsbereich. Federführend sind Wissenschaftler der Uni und des Uniklinikums Würzburg sowie der Charité Berlin.

Viele neurologische Erkrankungen, die mit einer eingeschränkten Bewegungsfähigkeit einhergehen, sind Ausdruck einer gestörten Kommunikation zwischen verschiedenen motorischen Hirnarealen. Von „Netzwerkerkrankungen“ sprechen Mediziner in diesen Fällen. Für diese Erkrankungen stehen eine Reihe vielversprechender Behandlungsverfahren zur Verfügung – beispielweise die tiefe Hirnstimulation mit Schrittmachersystemen –, die durch die gezielte Stimulation von Nervenzellen die motorische Netzwerkaktivität regulieren und damit erfolgreich Symptome von Patienten mit Parkinson, schwerem Zittern oder Dystonien lindern können. Neuromodulation lautet dafür der entsprechende Fachbegriff.
 Zehn Millionen Euro für die kommenden vier Jahre
Welche Mechanismen der Neuromodulation bei verschiedenen Erkrankungen zugrunde liegen, untersucht ein neuer überregionaler Sonderforschungsbereich (SFB/Transregio). Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) hat ihn jetzt genehmigt und für zunächst vier Jahre mit zehn Millionen Euro ausgestattet. Der SFB trägt den Titel „Behandlung motorischer Netzwerkstörungen mittels Neuromodulation“; er wurde von der Charité – Universitätsmedizin Berlin und dem Universitätsklinikum Würzburg konzipiert.

Die im SFB gewonnenen Erkenntnisse sollen dazu beitragen, innovative Therapiestrategien für Menschen mit Bewegungsstörungen zu entwickeln und die Anwendung auf bislang schlecht behandelbare Krankheitssymptome, wie Gangstörungen oder Schlaganfallfolgen, auszudehnen.
Das Verbundprojekt bringt international führende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Grundlagenforschung und Klinik der beiden Hauptstandorte sowie der Hebrew University of Jerusalem, der Universität Düsseldorf, des Max-Planck-Instituts für Kognitions- und Neurowissenschaften, der Universität Potsdam und der Universität Rostock zusammen.
Hirnaktivität selektiv unterdrücken
„Unsere Vision ist es, Neuromodulationsverfahren für die klinische Praxis zu entwickeln, die netzwerkspezifisch ansetzen, um komplexe klinische Syndrome behandeln zu können“, sagt Professorin Andrea Kühn, Sprecherin des Verbundes und Leiterin der Sektion Bewegungsstörungen und Neuromodulation an der Klinik für Neurologie und Experimenteller Neurologie der Charité. „Dazu wollen wir mit minimaler Invasivität an spezifischen Knotenpunkten des Netzwerkes im Gehirn eingreifen, um die pathologisch veränderte Hirnaktivität selektiv zu unterdrücken.“

Ein Schwerpunkt der Forschung an der Charité ist die Entwicklung bedarfsgesteuerter Schrittmachersysteme, die nur dann aktiv werden, wenn die wechselhaften Krankheitssymptome im Alltag auftreten. Hierzu sollen die Hirnsignale entschlüsselt werden, die für gesunde und krankhafte Bewegungsabläufe charakteristisch sind, um sie gezielt zu beeinflussen.
Individuell optimierte Stimulations-Algorithmen
Arbeitsgruppen an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg (JMU) ergänzen diese Forschung mit ihrer Expertise in Modellsystemen von Bewegungsstörungen, an denen grundlegende Mechanismen der Interaktion von Neurostimulation und Gehirnfunktion untersucht werden sollen. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wollen im Rahmen des SFB-Projekts klinische und tierexperimentelle Befunde in gemeinsame Computermodelle übertragen, die zukünftig individuell optimierte Stimulationsalgorithmen vorhersagen können. Damit soll es möglich werden, das individuelle Beschwerdebild einzelner Patienten durch eine personalisierte Neuromodulation zu lindern. „Die koordinierte Zusammenarbeit von international ausgewiesenen Grundlagenwissenschaftlern, Experten für digitale Medizin und Klinikern mit dem Ziel einer raschen Übertragung von Forschungsergebnissen in verbesserte Neuromodulationstherapien bei Patienten macht diese Verbundinitiative weltweit einmalig“, erklärt Professor Jens Volkmann, Direktor der Neurologischen Universitätsklinik Würzburg und Mitinitiator des SFB.
Der Sonderforschungsbereich wird an den beteiligten Standorten Strukturen etablieren, die darüber hinaus der Nachwuchsförderung im Bereich der Neuromodulation dienen, die in den konventionellen Studiengängen noch unzureichend abgebildet ist. JMU-Präsident Alfred Forchel hat den Prozess der Antragstellung eng begleitet: „Ich freue mich, dass durch die Bewilligung des Sonderforschungsbereichs die Würzburger Universitätsmedizin ihre Spitzenstellung in der klinischen Anwendung und Erforschung der Neuromodulation weiter ausbauen kann.“

Sonderforschungsbereiche der DFG

Sonderforschungsbereiche (SFB) sind langfristige Forschungseinrichtungen, die die Bearbeitung innovativer und anspruchsvoller Forschungsvorhaben im Verbund ermöglichen. Im Gegensatz zu einem klassischen SFB wird ein SFB/Transregio (TRR) nicht von einer, sondern von zwei oder drei Hochschulen gemeinsam beantragt und getragen. Die Projekte werden von der DFG zunächst für vier Jahre finanziell gefördert. Die Förderung kann nach erfolgreicher Evaluation um zwei weitere Förderperioden von je vier Jahren verlängert werden.
 

Foto: pixabay