Künstliche Intelligenz für den Weltraum
Plötzlich waren kreisrunde Löcher auf der Oberfläche des Mars zu sehen, die vorher nicht da waren. Auf Fotos vom Saturnmond Enceladus wurden Geysire entdeckt, die mächtige Fontänen aus Dampf Richtung Weltraum schleudern. Und auf den Bildern, die der Mars-Rover Curiosity zur Erde schickte, fanden sich Strukturen, die wie versteinerte Würmer aussehen.
Alle diese Phänomene, die teils nur vorübergehend erscheinen, wurden durch Zufall entdeckt. Oder weil Menschen sich viel Zeit nahmen, um die Bilder von den Nachbarplaneten der Erde zu sichten. „Mit Technologien der Künstlichen Intelligenz ließen sich bislang unbekannte Anomalien viel leichter aufspüren“, sagt Hakan Kayal, Professor für Raumfahrttechnik an der Julius-Maximilians-Universität (JMU) Würzburg.
Wissenschaft steht noch am Anfang
Künstliche Intelligenz (KI) in der Raumfahrt einsetzen? Laut Professor Kayal steht die Wissenschaft auf diesem Gebiet noch ganz am Anfang: „Es gibt dazu nur eine Handvoll Projekte.“
Wenn eine KI unbekannte Phänomene aufspüren soll, muss sie zuvor trainiert werden. Sie muss mit Bekanntem „gefüttert“ werden, damit sie Unbekanntes erkennen kann. „Es gibt schon Satelliten, die mit KI arbeiten. Deren KI wird auf der Erde trainiert und dann in den Orbit gefunkt. Wir haben allerdings anderes vor: Wir wollen die KI an Bord eines Kleinsatelliten unter Weltraumbedingungen trainieren“, sagt der JMU-Professor.
Dieses Vorhaben sei herausfordernd, aber machbar: „Auch miniaturisierte IT-Systeme werden immer leistungsfähiger. Und wir lassen uns Zeit für das Training der KI. Da kann ein Lernprozess im Orbit ruhig auch einmal mehrere Tage in Anspruch nehmen.“
Interplanetare Missionen als Fernziel
Warum aber das Training der KI in den Weltraum verlagern, auf Computer im Kleinstformat? Wo es doch mit Großrechnern auf der Erde viel einfacher zu realisieren wäre? Das liegt daran, dass Hakan Kayal eine klare Vision von der Zukunft hat. Er möchte Kleinsatelliten mit KI nicht nur zur Beobachtung der Erde, sondern auch interplanetar einsetzen – um neue extraterrestrische Phänomene zu entdecken, vielleicht sogar Spuren außerirdischer Intelligenzen.
„Sobald man interplanetar unterwegs ist, wird die Kommunikation mit dem Satelliten zum Flaschenhals“, sagt der Professor. Mit zunehmender Entfernung zur Erde dauert der Datentransfer länger, „da kann man nicht ständig Daten hin- und herschicken. Darum muss die KI dazu in der Lage sein, auf dem Satelliten selbstständig zu lernen. Und sie darf ausschließlich relevante Entdeckungen zur Erde melden.“
Start in den Orbit voraussichtlich 2024
Diese Technologie wird Kayals Team um Projektleiter Oleksii Balagurin auf dem Kleinsatelliten SONATE-2 implementieren und im Orbit erproben. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie fördert das Vorhaben mit 2,6 Millionen Euro. Angelaufen ist das Projekt am 1. März 2021; im Frühjahr 2024 soll der Satellit in den Orbit gebracht werden. Die Mission dort ist auf ein Jahr veranschlagt.
Der Würzburger Kleinsatellit wird etwa so groß wie ein Schuhkarton sein (30x20x10 Zentimeter). Mit seinen Kameras, die in unterschiedlichen Spektralbereichen Bilder aufnehmen, wird er die Erde im Blick haben. Die Bilddaten fließen in die KI, die automatisch Objekte erkennen und klassifizieren soll. Rund um die Erde wird die Technologie zuerst eingehend erprobt, bevor sie später womöglich auf interplanetare Reise gehen kann. Hakan Kayal hat diese Zukunftsmission namens SONATE-X schon fest in seinem Forschungsplan – das X steht für extraterrestrisch.
Studierende können mitarbeiten
SONATE-2 wird noch andere innovative und hochautonome Features an Bord haben. Das Sensordaten-Verarbeitungssystem wird im Vergleich zum Vorgängersatelliten SONATE weiter miniaturisiert und energiesparender gemacht. Dazu kommen neuartige Satellitenbuskomponenten, etwa verbesserte Sternsensoren für die autonome Lageregelung. Die Kameras sollen nicht nur statische Objekte erkennen und aufnehmen, sondern auch kurze, vorübergehende Phänomene wie Blitze oder Meteore.
Das Team von SONATE-2 wird aus circa zehn Personen bestehen. Auch Studierende können mitwirken – als Hilfskräfte oder im Rahmen von Bachelor- und anderen Abschlussarbeiten. Die Ausbildung des Nachwuchses in dieser Spitzentechnologie hat einen festen Platz im Projekt. Die JMU bietet neben ihren Informatik-Studiengängen auch einen Bachelor- und Masterstudiengang „Luft- und Raumfahrtinformatik“ sowie den Master „Satellite Technology“ an.
Das Vorhaben SONATE-2 wird vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) mit Mitteln des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (BMWi) aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestags finanziert (FKZ 50RU2100).
Das Vorgängerprojekt SONATE
Der neue Kleinsatellit SONATE-2 baut auf das erfolgreiche Vorgängerprojekt SONATE auf. Auch dieser Satellit wurde von Kayals Team entwickelt und gebaut und vom Bundeswirtschaftsministerium gefördert.
Foto: Hakan Kayal / Universität Würzburg