Best Practices

Universität berät Maschinenbauer: ein Modellprojekt mit Nachahmungscharakter

Ansprechpartner:

Emanuel Friehs
Ludwigstraße 10a
97070 Würzburg
0931/452 652-13
friehs@mainfranken.org

Best practices

​​Hintergrundinfos: 

Wer? SEHO Systems GmbH 

Wo? Kreuzwertheim

Was? Lötanlagenhersteller

Größe: 250+ Mitarbeitende

Kerngeschäft: Elektronikfertigung

Kontakt: info@seho.de

Wer? Julius-Maximilians-Universität Würzburg,
ESF-FrischNET

Wo? Würzburg

Was? Wissenstransfer & Austausch für kleine und mittlere Unternehmen

Größe: Fünf Masteranden

Themenschwerpunkte: Alternativen für ressourcenintensive Prozesse

Zielgruppe: klein- und mittelständische Unternehmen 

Kontakt: esf-frischnet@uni-wuerzburg.de

Wenn Kooperationspartner aus unserem regionalen Netzwerk sich gemeinsam auf ein Thema konzentrieren, mit Innovationsdenken und Tatkraft Potenziale erkennen, bündeln und ausschöpfen, wenn sie mit gemeinsam erarbeiteten Ergebnissen Lösungen schaffen, dann sprechen wir von einem Best Practice Case, der zeigt, wie wertvoll funktionierendes Networking ist. So zum Beispiel, wenn die Universität Würzburg an einen Lötanlagenhersteller aus der Region herantritt, um ihm ein Energieaudit schmackhaft zu machen, bei dem es um mehr geht als 1.000 Lampen auszutauschen.

​​​Emanuel Friehs, Projektleiter im mainfränkischen Kompetenznetzwerk Maschinenbau & Automotive, kurz MaKoMA, hat sich mit CTO Dr. Andreas Reinhardt von der SEHO Systems GmbH sowie Nicolas Neis und Christoph Tomitza vom ESF-FrischNET der Uni Würzburg getroffen, um über ihr gemeinsames Projekt, ein freiwilliges Energieaudit für ein Mittelstandsunternehmen, zu sprechen. 

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„Man muss offen sein, es ergeben sich immer wieder Schnittstellen.“

- Andreas Reinhardt

Als Andreas Reinhardt, den CTO und Leiter der Abteilung Forschung und Entwicklung in der SEHO Systems GmbH in Kreuzwertheim, im Jahr 2022 eine E-Mail der Uni Würzburg erreicht, ist er ebenso überrascht wie erfreut. Er selbst kommt, mit acht Jahren Lehrerfahrung an der Uni Erlangen, aus dem universitären Umfeld und ist Kooperationen mit Hochschulen gegenüber aufgeschlossen. Was die Uni Würzburg im Rahmen des Projekts ESF-FrischNET an Reinhardt heranträgt, ist der Vorschlag zur Beauftragung eines Energieaudits in seinem Unternehmen durch den externen Partner WUQM. Hier soll es um die Bestandsaufnahme der aktuellen Energieverbräuche innerhalb der Abteilungen gehen, um deren Auswertung sowie um eine anschließend durch die Uni Würzburg konzeptionierte und implementierte Plattform, die das Unternehmen automatisiert bei der ressourcenschonenden Planung im Hinblick auf Nachhaltigkeit unterstützt. Was in Großkonzernen längst fest vorgeschrieben ist, ist für einen Mittelständler wie SEHO nicht verpflichtend, wohl aber ein Thema, das Reinhardts Interesse weckt - trotz eines nicht unerheblichen Kostenaufwands. 

„Durch den Austausch entstand eine gemeinsame Vision für das Studentenprojekt, die darauf abzielte, die Brücke zwischen der universitären Forschung und den praktischen Anforderungen des Unternehmens zu schlagen."

- Christoph Tomitza

Zunächst: Wer kommt an dieser Stelle zusammen und warum? Im Jahr 2022 bietet die Julius-Maximilians-Universität Würzburg im Rahmen des ESF-Förderprojekts FrischNET Wissenstransfer für kleine und mittlere Unternehmen an. Dabei geht es in erster Linie um Networking, Erfahrungsaustausch und darum, den teilnehmenden Unternehmen neue Ideen und Impulse aus der Forschung mitzugeben. Auch für die praktische Ausbildung der Studierenden, denen es ermöglicht wird, an realen Fallbeispielen zu lernen und ihr theoretisches Wissen in die Praxis umzusetzen, stellt das Projekt eine Bereicherung dar. Im konkreten Fall widmet sich eine Gruppe von fünf Masteranden um die Dozenten Nicolas Neis und Christoph Tomitza vom Lehrstuhl für BWL und Wirtschaftsinformatik mit einem Projektseminar dem Bereich Sustainable Business. Das Studententeam hat die Aufgabe, eine Alternative für ressourcenintensive Prozesse innerhalb des Unternehmens zu erarbeiten und umzusetzen. Ziel aller Kooperationspartner ist es, die Nachhaltigkeit zu fördern und Konzepte zu integrieren, die es der SEHO ermöglichen, auch in Zukunft wettbewerbsfähig aufgestellt zu sein - auch in Hinblick auf Fragen nach dem CO2-Fußabdruck seitens der Großkunden. Die SEHO Systems GmbH, ein 1976 gegründetes Mittelstandsunternehmen im unterfränkischen Kreuzwertheim, ist als Lötanlagenhersteller, dessen Produkte weltweit verbaut werden, ein echter Hidden Champion der Regiopolregion Mainfranken. Mit 230 Mitarbeitenden widmet sich das familiengeführte Unternehmen der Herstellung von Selektiv-, Wellen- und Reflow-Lötmaschinen, Automatischer Optischer Inspektion und der Automatisierungstechnik.

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„Letzten Endes ist das Beantragen einer BAFA-Förderung nicht schwieriger als eine Steuererklärung.“

- Andreas Reinhardt

Mit Dr. Andreas Reinhardt trifft das Projektseminar-Team der Uni Würzburg auf einen erfahrenen Forscher mit langjähriger Lehrerfahrung, der einerseits die Prozesse innerhalb des Unternehmens, aber auch die Interessen der Studierenden versteht. Er ist bereit, als Projektpartner zu fungieren und so als Vorzeigemodell für andere Mittelständler zu dienen. Weil er weiß, wie einfach letzten Endes die Fördergelder bei der BAFA zu beantragen sind und dass die offengelegten Zahlen nur dem Zweck dienen, sich als Mittelstandsunternehmen auszuweisen, kommen Berührungsängste zur Beantragung einer Förderung nicht zum Tragen. Zwar erhält das Unternehmen keinen Sonderbonus für das Audit, die baulichen Maßnahmen werden allerdings in Höhe von etwa 20 bis 25 % gefördert. Dass über Kurz oder Lang eine Auswertung der Energieverbräuche nebst Verbesserung der eigenen Energiebilanz notwendig werden würde, ist bereits abzusehen - dass der Aufwand dazu im Ersten Schritt gering ist, kommt überraschend. So können allein durch den Austausch der Leuchtmittel und ein verbessertes Energiemanagement, bei dem Leistungsspitzen abgefangen werden, erhebliche Einsparungen erzielt werden. Und als die ersten Kunden bereits wenige Wochen nach dem Audit nach konkreten Zahlen zur Energiebilanz fragen, kann SEHO, im Gegensatz zum Wettbewerb, direkt liefern - ein klarer Vorteil für den Mittelständler.

„Die Teilnahme am Netzwerk trägt nicht nur zur Bildung neuer Kooperationen bei, sondern eröffnet auch Geschäftsmöglichkeiten und fördert innovative Lösungen.“

– Nicolas Neis

Doch wie sieht die Kooperation in der Praxis aus? Nachdem das Projektteam sein Angebot des Energieaudits per E-Mail an Andreas Reinhardt herangetragen haben, hält dieser Rücksprache mit der Geschäftsleitung, die ihre volle Unterstützung zusagt. Auch die Umweltmanagerin und der Verantwortliche für die Infrastruktur werden ins Boot geholt. Im ersten Schritt müssen die Verbräuche festgestellt werden. Diese Hausaufgabe übernehmen Auszubildende der SEHO, indem sie alle Werte zu Heizungen, Klimaanlagen oder Lichtquellen gemäß Vorgaben der WUQM Consulting GmbH, einem weiteren Kooperationspartner innerhalb des Netzwerks, in Excel-Listen eintragen. Auch dürfen sich die Mitarbeitenden aktiv einbringen und Verbesserungsvorschläge zur Energieeffizienz liefern. Im Anschluss daran werden die Daten vom Projektteam der Uni Würzburg unter Beratung der WUQM ausgewertet. Hier findet ein reger Austausch zwischen den Kooperationspartnern statt. Neben scheinbar ganz selbstverständlichen Verbesserungen, wie dem Herunterfahren der nichtgenutzten PCs oder dem Abfangen von Leistungsspitzen durch aktives Monitoring der Verbräuche werden im Rahmen der Auswertung drei wesentliche Einsparpotenziale identifiziert: Empfehlenswert sind demnach das Wechseln der Leuchtmittel, die Installation einer PV-Anlage sowie eine bauliche Umrüstung der Heizung.

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Doch nicht alle Maßnahmen können - sowohl aus organisatorischen als auch aus Kostengründen - unmittelbar umgesetzt werden. Denn was in der Theorie leicht klingt, ist in der Praxis nicht immer ad hoc durchführbar. Hier lernen die Studierenden in der Praxis, wie Unternehmen funktionieren, was geht und wo Grenzen gesetzt sind.

„Die enge Verknüpfung von theoretischem Wissen und praktischer Anwendung wurde zu einem integralen Bestandteil der Kooperation, der für alle Beteiligten einen erheblichen Mehrwert schuf.“

- Christoph Tomitza

Die Mehrwerte, die diese Kooperation zwischen Bildungseinrichtung und Privatwirtschaft mit sich bringen, sind für die Projektbeteiligten vielfältig. Während die Studierenden die Gelegenheit nutzen, die Praxis hautnah zu erleben und an realen Projekten zu arbeiten, profitiert SEHO von der Bereitstellung zusätzlichen Know-hows, über das das Unternehmen im Normalfall nicht verfügt. Frische Perspektiven, aktuelles Fachwissen und innovative Ansätze sind weitere Bereicherungen für den Mittelständler - vor allem unter dem Aspekt, dass es sich um ein Projekt handelt, das nicht unmittelbar zum Kerngeschäft gehört oder das primäre Geschäftsmodell abbildet. Dem Lehrstuhl wird ebenfalls eine einzigartige Chance geboten: Durch das Kennenlernen der realen Bedarfe in der Wirtschaft anhand konkreter Beispiele können sich die Forschenden an den stetig wechselnden Anforderungen ausrichten. Der bedarfsgerechte Wissenstransfer, der speziell auf das Projekt zugeschnitten wird, bietet die Möglichkeit, individuelle Anforderungen effektiv zu erfüllen.

„Ich hätte auch kein gutes Gefühl dabei, jemanden aus Hamburg zum Energieaudit anreisen zu lassen."

- Andreas Reinhardt

Ein deutliches Plus für die Kooperationspartner stellt die regionale Nähe dar. Kurze Wege erlauben flexible Besuche und schnelle Meetings und tragen auch dazu bei, die regionale Wirtschaft zu stärken, indem vor allem Handwerksbetriebe und Zulieferer aus der Region berücksichtigt werden. Gerade bei einem so sensiblen Thema wie Nachhaltigkeit achten die Projektbeteiligten natürlich darauf, dass der Fokus entsprechend ausgerichtet ist. Ökologisch, ökonomisch und sozial nachhaltig gestaltete Prozesse sollen dafür sorgen, dass auch die lokale Gemeinschaft profitiert. Da diese Philosophie sowohl an der Uni Würzburg als auch bei SEHO gelebt wird, ist auch das Ergebnis zukunftsweisend und am regionalen Netzwerk orientiert. In wöchentlichen Jours fixes informieren die mit dem Projekt betrauten Studierenden aus dem Fachbereich Wirtschaftsinformatik ihre beiden Betreuer, die in dem Modellauftrag - zusätzlich zu SEHO - als Auftraggeber und Berater fungieren, über den Projektstand. Alle weiteren Schritte von der Konzeption bis hin zur Implementierung sind Aufgaben des fünfköpfigen Masterandenteams. Mit dem Unternehmen wird nach Bedarf kommuniziert. Geschätzt und gelobt wird von universitärer Seite vor allem die schnelle Reaktion SEHOs in Bezug auf Rückfragen, aber auch seitens des WUQM der Umstand, dass bereits in den ersten Wochen sämtliche Leuchtmittel zugunsten der energieeffizienteren Variante ausgetauscht werden. Was von Anfang an klar ist: Das Unternehmen will sich verbessern, SEHO erkennt die Mehrwerte, die die Kooperation bietet. Hier wird nicht für die Schublade gearbeitet - und das ist auch ein sehr wichtiger Aspekt für Andreas Reinhardt.

„Die Frage ist: Welche Stellschrauben haben wir noch, um uns weiter zu verbessern?“

- Andreas Reinhardt

Wie so ein Projekt gelingen kann, weiß Andreas Reinhardt: Es braucht vor allem Offenheit und Vertrauen seitens der Geschäftsleitung. Ein freiwilliges Audit stellt klar eine finanzielle Belastung dar, allerdings konnte durch den unerwarteten Anstieg der Energiepreise im Nachgang die Amortisationsdauer bereits halbiert werden. Hier ist also eine enorme Kostenersparnis möglich. Weil die Mitwirkenden ein entsprechendes Netzwerk mitbringen, ist die Einstiegsbarriere relativ niedrig, worin Reinhardt ebenfalls einen erheblichen Erfolgsfaktor sieht. Auch die Tatsache, dass bei SEHO die Hierarchien flach sind, jeder sich einbringen und das Unternehmen mit Verbesserungsvorschlägen bereichern kann, trägt zum Gelingen des Projekts bei. Ein Blick in die Zukunft zeigt, dass mit den Ergebnissen des Audits auch weitergearbeitet wird. Bei der Planung einer neuen Fertigungshalle werden die Handlungsempfehlungen der WUQM direkt berücksichtigt und die Einsparpotenziale ausgeschöpft. Weil das Audit auch den Blick für Umweltfragen innerhalb des Unternehmens schärft, kann ein konkreter Plan zur Ein- und Durchführung entsprechender Maßnahmen im Sinne der Nachhaltigkeit aufgestellt werden. Dieser umfasst künftig bei Neubauten die Berücksichtigung von PV-Anlagen mit Energiespeicher und effizienter Heizungssysteme. Ob ein Nachrüsten bei den bestehenden Gebäuden sich noch lohnt, müssen bereits angefragte Angebote zeigen.

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Auch beim Thema E-Mobilität plant SEHO einen Umschwung. Nach und nach soll die Firmenflotte elektrisch werden. Insgesamt hat das Audit zu einem Umdenken geführt und Motivation dafür geschaffen, noch besser zu werden. Wo SEHO Systems mit ihren Anlagen momentan beispielsweise 10 % vom CO2-Fußabdruck innerhalb der kompletten Wertschöpfungskette beim Bau einer Lötanlage ausmacht, sollen für die Zukunft noch attraktivere Wettbewerbsvorteile erarbeitet werden.  

Bildquelle: Samuel Becker