Best Practices

Der „Spirit des fränkischen Mindsets“ als Erfolgsgarant

Ansprechpartner:

Emanuel Friehs
Ludwigstraße 10a
97070 Würzburg
0931/452 652-13
friehs@mainfranken.org

Best practices

​​Hintergrundinfos: 

Wer? sprintBOX GmbH

Wo? Grettstadt

Was? Spezialist für Behältermanagement

Größe: 10 Mitarbeitende

Kontakt: Heiko.Raab@sprintbox.de

Wer? TAF Industriesysteme GmbH

Wo? Rottendorf

Was? Spezialist für Maschinenvernetzungen 

Größe: 38 Mitarbeitende

Kontakt: info@taf-industriesysteme.de

Wer? Technische Hochschule Würzburg-Schweinfurt
Drittmittelgefördertes Verbundprojekt: DIBCO

Wo? Schweinfurt

Was? Digitalisierung der Prozesse zur Abwicklung von Mehrwegbehälterkreisläufen

Kontakt: alexander.dobhan@thws.de

Die Digitalisierung von Prozessen ist in der Logistikbranche ein brisantes wie stark vernachlässigtes Thema. Weil es sich für produzierende Unternehmen bei der Logistik im Allgemeinen und beim Behältermanagement im Besonderen um einen Teil der Wertschöpfungskette handelt, der eingepreist werden muss, aber keinen wirtschaftlichen Nutzen bringt, steht die Logistik-Branche unter hohem Kosten- und Zeitdruck. Dabei ist viel Handarbeit notwendig, um die Waren zu transportieren. Das wissen sowohl Heiko Raab von der sprintBOX GmbH in Grettstadt als auch Axel Treutlein von der TAF Industriesysteme GmbH in Rottendorf. Deshalb haben sie es sich gemeinsam mit den Professoren Dr. Alexander Dobhan und Dr. Martin Storath der Technischen Hochschule Würzburg-Schweinfurt und der Lobster Logistics Cloud GmbH aus Tutzing im Rahmen des drittmittelgeförderten Verbundprojekts DIBCO (Digitales Behältermanagement mit der Anwendung von Computer Vision) zur Aufgabe gemacht, eine Möglichkeit zu entwickeln, die Mehrwegbehälter nach dem Reinigungsvorgang auf Mängel oder Verunreinigungen prüft.

Emanuel Friehs, Projektleiter im mainfränkischen Kompetenznetzwerk Maschinenbau & Automotive, kurz MaKoMA, hat sich mit den Projektbeteiligten getroffen, um darüber zu sprechen, wie sich Wirtschaft und Wissenschaft sinnvoll verbinden lassen. Am Ende sollen Ergebnisse entstehen, von denen beide Seiten profitieren. Warum ein funktionierendes Netzwerk dafür unabdingbar ist, erläutern die Partner im Gespräch.

Wer sind die Industriepartner und was machen sie?

Die sprintBOX ist Spezialist für Behältermanagement innerhalb der Schäflein-Gruppe. Hier sorgen zehn Mitarbeitende für den reibungslosen Ablauf der Prozesse. Die operativen Leistungen erbringt ein Schwesterunternehmen, das mit 500 Mitarbeitenden die entsprechende Manpower stellt. 

Die TAF steht für klassische Fördertechnik mit Rollenbahnen, Förderbändern sowie Materialzu- und -abführung. Sie ist Spezialist für Maschinenvernetzungen und stellt Produktionsmaschinen bereit, die durch Lasertechnik Behälterprodukte erkennen, ordnen und sortieren.

Lobster bringt sich als Appentwickler mit seiner Logistics Cloud und zur Datenintegration in das Projekt ein.

Was sind die Aufgaben der Beteiligten an der Hochschule?

Prof. Dr. Alexander Dobhan ist Professor für Business Applications und Business Process Management und Leiter des ERP-Labors. Er beschäftigt sich mit der Digitalisierung von Geschäftsprozessen und ist als Projektleiter des DIBCO-Projekts für die Digitalisierung der Prozesse zur Abwicklung von Mehrwegbehälterkreisläufen zuständig.

Prof. Dr. Martin Storath ist Professor für Mathematik und leitet das Labor für mathematische Methoden in Computer Vision und maschinellem Lernen. Im DIBCO-Projekt ist er für die Computer Vision zuständig und liefert das Know-how bezüglich des Aufbaus des Kamerasystems, der Beleuchtung und der mathematischen Algorithmen - von der Erkennung der Boxen bis zur Identifikation von Defekten.

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Wie haben sich die Partner kennengelernt und welche Rolle spielt das Netzwerk?

Bereits durch Vorgängerprojekte bestanden Kontakte zwischen TAF und THWS. Auch bei sprintBOX war der Austausch mit der logistikaffinen Hochschule gegeben: Erste Kontakte wurden zum Thema Prozesse geknüpft, weil bei der Zusammenführung von Theorie und Praxis innerhalb des Studiums immer wieder Schwierigkeiten auftraten. So lud das Unternehmen bereits in der Vergangenheit regelmäßig Erstsemester ein, um die Verarbeitung von Prozessen in der Praxis zu veranschaulichen. Auch steht das Unternehmen im Zuge seines Wachstums schon immer für die Betreuung von Diplom-, Bachelor- und Masterarbeiten zur Verfügung.

Wie kam es zum Thema „Digitales Behältermanagement mit der Anwendung von Computervision?

Als Alexander Dobhan 2021 bei sprintBOX vor Ort den Mehrwegbehälterprozess sieht, muss er feststellen: Das ist alles noch manuell. Weil in der Logistikbranche vieles noch auf Papier stattfindet und kleinteilige Prozessschritte gerne noch analog abgewickelt werden, kann hier Pionierarbeit geleistet werden. Der Professor sieht sofort seine Aufgabe. Auch und gerade die Automatisierung von Prozessen ist für die Logistik ein spannendes Thema, weil es nicht nur an Fachkräften mangelt, sondern generell an Mitarbeitenden. 

„Es geht um Facharbeiter-, bzw. Mitarbeitermangel, der nur mit mehr Automatisierung kompensiert werden kann“

- Heiko Raab, sprintBOX

Die Herausforderung ist zunächst, die Logistiker zu überzeugen, dass Einsparpotenziale identifiziert werden müssen, bevor tatsächlich etwas eingespart werden kann. Sprich: Digitalisierung vor Automatisierung. In der Logistikbranche müssen schnell und flexibel Lösungen angeboten werden. Um Probleme aber systematisch zu durchdringen, fehlen den Verantwortlichen Zeit und Geduld. Deshalb schätzen die sprintBOX-Geschäftsführer die Partnerschaft mit der Hochschule: Die THWS kann anders herangehen und die Ergebnisse auch besser dokumentieren.

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Was war die Problemstellung?

Das Behältermanagement spielt eine tragende Rolle in der Versorgungssicherheit. Wichtig ist der Gewinn von Informationen über den Verbleib bestellter Behälter in Echtzeit, damit der Kunde seine Teilelieferungen zuverlässig disponieren kann.

Aus Forschungssicht konnten vier Themen identifiziert werden, die näher zu beleuchten sind:

  • Digitalisierung der Planung
  • Behältertracking: Die Belabelung erfolgt in der Regel für den Inhalt, nicht für den Behälter selbst
  • Computer Vision als einzige Möglichkeit einer optischen Erfassung
  • Internet der Dinge: Vernetzung der Systembausteine und Auswertung der Daten

„Es wird keinen Nobelpreis dafür geben und auch sicher keine ausgefallene neue Methode erschlossen, aber wir haben es durch das Projekt schon geschafft, die Grenzen der Digitalisierung ein bisschen weiter rauszuschieben.“

- Alexander Dobhan, THWS

Das Fazit: In der Logistik wollen alle etwas tun, stehen sich mit Anforderungen und Herausforderungen oftmals aber selbst im Weg. Und hier setzt das DIBCO-Projekt an.

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Was ist seit dem Projektstart im Januar 2022 passiert und wie lange läuft das Projekt?

Das Projekt läuft noch bis März 2025.

Während sich im Bereich der Planung bekannte und bewährte Ansätze umgesetzt werden - hier gilt die Prämisse: Digitalisierung vor Automatisierung -, entwickelt sich das standortübergreifende Tracking permanent weiter. Die im Zuge des Projektes verwendeten Systeme nutzen im Wesentlichen Bluetooth und Assisted GPS. In Sachen Maschinendatenextraktion, bei der Daten aus verschiedenen, komplizierten Protokollen extrahiert werden müssen, ist ein Fortschritt in der schieren Machbarkeit zu verzeichnen.

Die generelle Frage bleibt: Was kann ich in der Automation machen, wie automatisiere ich sinnvoll? Und wann, wo und wie setze ich sie ein?

Was sind die Vorteile für die Kooperationspartner?

Das Netzwerk und dessen Ausweitung stellt einen großen Vorteil für die Beteiligten dar. Sie entwickeln ein Verständnis für Behältermanagement im Hinblick auf Nachhaltigkeit und für Computer Vision und KI, wobei die Erkenntnisse sofort in die Prozesse einfließen können. Auch Studierende profitieren von der Konstellation, weil sie direkt in der Praxis arbeiten können. Hier wird wirklich aktiv geforscht - was die perfekte Voraussetzung für eine Abschlussarbeit bietet.

Ein greifbares Beispiel liefert die Behälterwaschmaschine im Hinblick auf die Vorteile der Digitalisierung. Nach der Koppelung und beim Sammeln der Daten konnte das Hochschulteam feststellen, dass der Startzeitpunkt zu früh eingestellt war, sodass die Maschine sich auch nachts eingeschaltet hat - also zu einer Zeit, in der gar keine zu waschenden Behälter im Einsatz waren. Eine Korrektur führte zu erheblicher Energieersparnis. Dieses Beispiel untermauert die These, dass der Nutzen sich im Nachgang bei der Transparenz ergibt.

Welche Rolle spielt die Regionalität?

Die Projektbeteiligten sind sich einig: Unter (Main-)franken redet es sich leichter miteinander. Sie können „mal schnell vorbeikommen“ - ein Mitarbeiter von TAF ist mittlerweile einmal pro Woche an der Hochschule vor Ort -, Themen lassen sich von Angesicht zu Angesicht schneller und unkomplizierter besprechen und skizzieren als über eine Videokonferenz. Auch bei der Rekrutierung von Mitarbeitenden sehen die Partner einen Vorteil: Durch attraktive Bedingungen und ein spannendes Arbeitsumfeld ist das Fachpersonal leichter in der Region zu halten.

„Wenn wir ein Produkt haben, das den Mittelstand in der Region weiterbringt, dann haben wir wieder was gekonnt für die Region.“

- Axel Treutlein, TAF

Wie geht es nach dem Projekt weiter (für jeden einzeln, aber auch gemeinsam)?  

TAF wird über das Projekt hinaus als Partner für die THWS fungieren und Studien mit vertiefter Praxis im Studiengang angewandte Mathematik mit anbieten. Weil das Unternehmen gezielt auf den an mainfränkischen Hochschulen ausgebildeten Nachwuchs setzt, wird den Studierenden ein guter Berufseinstieg bei dem renommierten Mittelständler ermöglicht. Derzeit sind mehr als 15 % der TAF-Mitarbeitenden auch Absolventen der THWS. Auch wäre es für den Fördertechniker ein klarer Wettbewerbsvorteil, wenn er nach der Projektlaufzeit ein fertiges Produkt auf den Markt bringen könnte.

Für die aktuelle Fragestellung ist ein Folgeprojekt zum Thema Automatisierung beantragt. Das letzte DIBCO-Jahr steht derweil im Zeichen der Integration in bestehende Prozesse. Hier lautet die Kernfrage: Wie bringen wir die Erkenntnisse sinnvoll in die Anwendung?

Wissenstransfer: Wie sichern die Partner das Erlernte? 

Der Fortschritt des Gesamtprojekts wird in einem gemeinsan Kanban Board festgehalten. Bachelor-, Master- und Projektarbeiten schaffen ausführliche Dokumentationen von Teilprojekten. Um sprintBOX-Mitarbeitende an Einzelkommissionierungsplätzen zu schulen, wurden beispielsweise Videotutorials erstellt.

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Wie groß sind die Projektteams?

An der THWS sind zwei halbe Stellen in das Projekt eingebunden, die von den Professoren betreut werden - und natürlich jede Menge Studierende. Bei der TAF kümmert sich ein Mitarbeiter um die Software, neben einem Projektleiter sind zwei weitere in Planung und Konstruktion tätig. Die sprintBOX hat zwei Mitarbeiter im Projekt, während Lobster einen Mitarbeiter und einen Projektleiter als permanente Ansprechpartner stellt. Besonders begeistert sind die Professoren davon, wie sehr die Geschäftsführer der Industriepartner für das Projekt brennen. Weil sie aktiv eingebunden sind, ist für schnelle Entscheidungen gesorgt - es scheitert in wichtigen Fragen nicht an der Bürokratie. Und auch andersherum sind die Industriepartner von der Hingabe der Professoren beeindruckt.

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„Für mich war es besonders erstaunlich, mit welchem extremen Engagement und mit welcher extremen Motivation die Herren Professoren da zu Werke gingen.“

- Heiko Raab

Prototyp: Zustandserkennung, Tracking, Behälterplanungs- und Monitoringprozesse: was war gut, was musste nachgebessert werden?

Aus der bisherigen Projektarbeit konnten bereits spannende Schlüsse gezogen und Teilprojekte realisiert werden. Mit den gewonnenen Daten aus der Waschmaschine konnten Parameter geordnet und geclustert werden, sodass die Maschine jetzt viel effizienter genutzt werden kann.

In Sachen Tracking stand die THWS vor mehreren Problemen: Neben der Anbringung musste die Wahl des Trackers im Hinblick auf Datenverfügbarkeit, Akkulaufzeit oder Genauigkeit geklärt werden. Schlussendlich ist allen Projektbeteiligten klar, dass es wirtschaftlich nicht tragbar ist, alle Boxen mit Tracker auszustatten. Deshalb wird eine Stichprobenfassung mit anschließender Datenexploration zum Erkenntnisgewinn genutzt.

Auch müssen sich die Partner der Grenzen des Machbaren bewusst sein: Die Defekterkennung bei den Behältern gestaltet sich schwierig. Die Boxen sind ständig in Benutzung, sehen alle anders aus und weisen unterschiedliche Defekte auf. Mit Deep Learning hat sich viel getan, Martin Storath ist begeistert davon, dass die neuesten Erkenntnisse und Methoden von 2023/24 Anwendung finden. Spannend ist die Frage: Wie können wir dieses Wissen auf unseren Anwendungsfall übersetzen? Bisher wurde die Kamera zwar trainiert, aber noch nicht im Echtlauf getestet. Das passiert jetzt im nächsten Schritt, wo sie unter Realbedingungen zeigen kann, was möglich ist.

Wie steht es um eine Ausweitung der Forschungsergebnisse?

Vieles findet bereits Anwendung: Die Forschung ist wertvoll für bestimmte Teilbereiche, im großen Ganzen muss vor dem Hintergrund der Wirtschaftlichkeit ermittelt werden, was umgesetzt werden kann. Während es bei diesem Projekt erstrangig um Digitalisierung geht, müsste das Thema Automatisierung in einem bereits beantragten Folgeprojekt betrachtet werden. Für die beteiligten KMUs wäre die Umsetzung essenziell, um die Mitarbeitersituation in der Logistik zu entschärfen.

Praxisanwendung: Ist ein dauerhafter Einsatz des Aufbaus möglich?

Der Aufbau lässt sich so unkompliziert realisieren, dass direkt damit gearbeitet werden kann. Das Know-how steckt nicht im Aufbau selbst, sondern in den dahinterstehenden Prozessen.

Was sind die Erfolgsfaktoren für das Gelingen eines solchen Projekts?

Heiko Raab beschreibt die unaufdringliche Grundeinstellung zum Projekt selbst als „Spirit des fränkischen Mindsets“. Über Faktoren wie Motivation, Offenheit, gegenseitigen Respekt und ein authentisches Einsteigen in die Fachthemen hinaus steht demnach immer das Ziel im Fokus. Auch Treffen auf ein Bier sind stets mit einer Prise „Was könnte man noch verbessern?“ angereichert. Dazu kommen die hervorragenden Projektmitarbeiter an der THWS und den Unternehmen. Die Lust darauf, neue Erkenntnisse zu gewinnen und in der Praxis etwas besser zu machen, gilt sowohl für die Hochschulprofessoren als auch für die Unternehmer als erheblicher Erfolgsfaktor für das Gelingen eines Projekts mit dieser Tragweite.

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Bildquelle: Samuel Becker